Die Silberstadt Potosi

Mineros im dritten Level
Mineros im dritten Level beim Beladen des 1-Tonnen- Hunts

Der Stollen war noch enger als ich erwartete. Beidseits des Gleises, auf dem das Erz im Hunt (so nennt man den vierrädrigen Förderwagen) 'ober Tag' transportiert wurde, waren keine 20 Zentimeter Platz. Ungefähr alle 50 Meter wurde eine kleine Ausweichnische in die Ulme gehauen, die man aufsuchen mußte, sobald ein Hunt angerollt kam. Juan schärfte mir nochmal ein, daß ich mich auf sein Zeichen hin, sofort in die nächstgelegene Nische begeben sollte, da ich sonst unweigerlich von dem Förderwagen erfaßt werden würde. Jedes Jahr werden einige Mineros von heranschießenden Wagen getötet. Ich gab Juan durch ein Handzeichen zu verstehen, daß ich seine Warnung begriffen hatte, ertappte mich aber dabei, dies auf die leichte Schulter nehmen zu wollen. Ich sollte bald eines besseren belehrt werden...
Der Stollen stieg kontinuierlich leicht an. Wir waren nun bereits einige hundert Meter gelaufen, und der Lichtkegel des Eingangs war schon seit geraumer Zeit verschwunden. Meine Helmlampe hatten wohl auch schon bessere Tage gesehen, und so leuchtete sie den Tunnel nur spärlich aus. Der Stollen war wohl eindeutig nicht für uns Europäer ausgelegt, denn bei nicht einmal 1,70 Meter Firsthöhe wurde ich in eine, auf Dauer unangenehme, gebückte Körperhaltung gezwungen. Immer wieder knallte ich mit meinem Helm gegen die Decke. Ohne den Aludeckel wäre ich wohl schon nach kurzer Zeit k.o. gegangen. ;-) Zu meiner Überraschung war es ungewöhnlich still im Stollen. Außer unseren Geräuschen konnte ich nichts hören.
Plötzlich gab mir Juan das zuvor ausgemachte Zeichen, die nächste Ausweichnische aufzusuchen. Verdutzt blieb ich kurz stehen um zu horchen, doch ich konnte rein gar nichts hören. "Pronto, pronto!!!", rief Juan merklich lauter und rannte zu der 20 Meter entfernten Aussparung. Auch ich gab nun Gas, und folgte ihm im Laufschritt. Kaum hatten wir die Felsnische erreicht, konnte ich auch schon ein immer lauter werdendes Gequietsche hören und nur einen Wimpernschlag später donnerte ein riesiger 4- Tonnen- Hunt um die Kurve. Ich war gelinde gesagt geschockt! Der Förderwagen schoß mit einer enormen Geschwindigkeit an uns vorbei. Obwohl ich mich so weit wie möglich in die Felsnische preßte, hatte ich das Gefühl, daß mich der Wagen nur um Haaresbreite verfehlte. Was mir aber wirklich Sorgen machte war, daß ich den herannahenden Hunt viel zu spät gehört hatte. Alleine hätte ich wohl nicht den Hauch einer Chance gehabt!
Ich sagte das Juan, worauf er grinsend erwiderte:"Das ist ganz normal. Mit der Zeit bekommst Du einen Riecher dafür, wann ein Wagen kommt. Warte noch eine halbe Stunde, dann wirst Du sie auch früher hören." Er erzählte mir noch, daß dies eine der gefährlichsten Stellen der Mine sei, da hier der Wagenbremser, der hinten auf dem Hunt steht, Schwung holen muß, um den leichten Anstieg kurz vor dem Stollenausgang zu überwinden. Er erreicht dabei teilweise eine Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Eine Vollbremsung ist da nicht mehr möglich, und so würde man zwangsläufig zerquetscht werden, wenn man nicht rechtzeitig die rettende Nische erreicht.

Nach weiteren 10 Minuten hatten wir das Gesenk erreicht. Dies war ein steil nach unten verlaufender, enger Ministollen, der die Verbindung zum 2. und 3. Level herstellte. Wir kletterten, robbten und rutschten durch den Schacht nach unten. In dieser Höhe strengte das mächtig an, und bereits nach kurzer Zeit war ich unter meinem Ostfriesennerz klatschnaß geschwitzt. Hinzu kam noch die nun merklich schlechtere Luft und die steigende Temperatur, je tiefer wir in den Berg vordrangen. Obwohl im 2. Level zur Zeit nicht gearbeitet wurde, wollten wir dort zumindest Tio, den Beschützer des Berges und der Mineros, einen Besuch abstatten. Tio ist ein Relikt aus der alten Andenreligion und man findet ihn in jeder Mine am Cerro Rico als lebensgroße Lehmfigur mit Hörnern und einem Spanierbart. Die Mineros bringen ihm kleine Geschenke und Opfergaben, damit er kein Unheil über sie bringen und sie im Berg beschützen möge.

Tio
Tio, der Beschützer des Cerro Ricos und der Mineros


Nachdem wir uns den Segen Tios abgeholt hatten, krochen wir weiter durch das Gesenk in den 3. Level. Der Stollen hier unten war nun noch enger und niedriger als in den oberen Etagen. Selbst Juan mit seinen 1.65m mußte sich da gelegentlich bücken. Ich konnte nun gut verstehen, wenn jemand mit einer klaustrophobischer Veranlagung hier unten echte Probleme bekommen würde!
Aufgrund der stickigen und staubigen Luft fiel es mir nun noch schwerer zu atmen. Den Mundschutz (eigentlich ein Einwegmundschutz aus Papier, aber so wie er aussah, schon einige Male vor mir in Gebrauch;-) hatte ich schon seit geraumer Zeit runtergezogen. Seine Wirksamkeit gegenüber der Arsen- und Quecksilberhaltigen Luft, stellte ich insgeheim schon seit dem ersten Begutachten im Ausrüstungsdepot in Frage.
In der dritten Ebene kamen nur noch 1- Tonnen- Hunts zum Einsatz, da die schweren Wagen des ersten Levels für den engen Stollen hier unten einfach viel zu groß waren. Die dritte Etage verlief überwiegend horizontal und so mußte der Hunt von vier Mineros unter enormen Anstrengungen zur Entladestelle gezogen werden. In engen Kurven entgleiste der Wagen regelmäßig, und mußte dann wieder mit Eisenstangen auf die Führungsschiene gehebelt werden. Alles in allem eine der schwersten Arbeiten in der Mine.

Blick vom Cerro Rico auf Potosi
Blick vom Cerro Rico über die riesigen Halden hinunter auf die Dächer von Potosi.

Wir folgtem dem Gleis bis zur Abbruchstelle, wo zwei Mineros gerade am Befüllen eines Hunts waren (siehe erstes Bild auf dieser Seite). Sie legten dabei eine beachtliche Geschwindigkeit an den Tag, bei der ich wohl nicht einmal im Freien auf Meeresniveau hätte mithalten können, geschweige denn hier! Alle 10 Minuten kam ein dritter Minero mit einer vollen Schubkarre aus einem Seitenstollen und kippte die Ladung vor die Füße der beiden Wartenden, um gleich darauf wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Wir spendierten ihnen je eine Flasche von unseren mitgebrachten Getränken, die sie dankend annahmen. Die armen Schweine waren völlig durchgeschwitzt und der ältere der beiden hustete heftig. "Nun wundert es mich nicht mehr", dachte ich mir, "daß 80% Prozent der Mineros innerhalb von 10 Jahren an Silicose (Staublunge) oder an einer Quecksilber- bzw. Arsenvergiftung sterben. Der Rest geht bei Unfällen und Grubenunglücken drauf." Die Arbeitsbedingungen hier unten waren wirklich unmenschlich!
Wir folgten dem Minero mit der Schubkarre in den Seitenstollen. Nach einigen hundert Metern trafen wir auf zwei seiner Kumpels, die sich an einer Haspel (bergmännisch für Seilwinde) zu schaffen machten. Der Schacht über dem die Winde befestigt war, führte einige Meter senkrecht nach unten in den 4. Level. Wir hatten die eigentliche Abbaustelle erreicht. Juan erzählte mir, daß dort unten zur Zeit einmal in der Woche gesprengt wird. Die restlichen Tage benötigen die Mineros um das gelockerte Erz in Körbe zu schaufeln, die dann mittels Haspel in den 3. Level hochgehievt wurden. Die Arbeit in der untersten Ebene ist ein absoluter Knochenjob. Nicht nur, daß dort die Luft alles andere als Sauerstoff enthält, die Temperatur ist noch einmal um einige Grad höher als in den oberen Levels. Und als ob das nicht schon genug wäre, entstehen durch die Sprengungen zudem noch allerlei giftige Gase. Die gesundheitliche Belastung im 4. Level ist so enorm, daß die Mineros alle paar Stunden ausgewechselt werden müssen. Aber auch so kann man die Lebenserwartung an den Fingern einer Hand abzählen.

Cocablätter
Cocablätter und der für die chemische Reaktion wichtige Aschebrocken. Einige kleine Brösel davon werden in Cocablätter eingewickelt und zwischen Zahnreihe und Backen geklemmt. Der Speichel reagiert nun mit der Asche und setzt die Wirkstoffe der Cocapflanze frei.

Die Kumpels an der Winde waren beide "Macho Picchus" (in Anspielung auf die berühmte Inkaruine). So nennen sich Mineros, wenn sie beide Backen voll Cocablätter haben. Normalerweise genügt es, sich das Grünzeug nur auf einer Seite hinter die Zahnreihe zu stopfen, aber wenn der Körper davon bereits so abhängig geworden ist, daß die gewünschte Wirkung nicht mehr eintritt, müssen sie sich sozusagen die doppelte Ration genehmigen. "Macho Picchus" arbeiten meistens schon mehrere Jahre in den Minen und sind gesundheitlich und körperlich bereits so stark angegriffen, daß sie in der Regel nur noch wenige Jahre zu leben haben.



Ein Gefühl des Unbehagens stieg allmählich in mir auf. Die schlechte, staubige Luft, die Hitze aber auch die Enge des Stollens und meine ständige, gebückte Haltung zehrten an meinen Kräften und dem Wohlbefinden. Und so war ich äußerst dankbar, als Juan mir vorschlug, den Rückweg anzutreten. Wir überließen den beiden Mineros den Rest unserer mitgebrachten Getränke und die 2 Beutel Coca, und verabschiedeten uns von ihnen.

Nach einer langen Stunde hatte uns dann endlich das Tageslicht wieder. Wohl noch nie war ich beim Anblick der Sonne glücklicher, als in diesem Moment. Wir waren fast vier Stunden im Berg gewesen.

Schlußwort

Im Nachhinein betrachtet, war die Minentour für mich eine enorme Erfahrung, und ich werde die vielfältigen Eindrücke wohl so schnell nicht wieder vergessen. Wenn man sich naß geschwitzt und keuchend durch die engen, staubigen Stollen der Mine zwängt und sich dabei abwechselnd Atemnots- und Klaustrophobie- Attacken ausgesetzt sieht, weiß man umso mehr die unglaubliche Leistung der Mineros zu würdigen. Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen unter Tage, die permanente Gefahr verbunden mit der hohen Sterberate, aber auch der Kontakt mit den trotz aller Strapazen freundlichen und offenherzigen Mineros, lassen unsere "Alltagsproblemchen" zuhause unbedeutend erscheinen.
Und so muß ich heute, wenn ich mich mal wieder über meinen Job oder den Chef ärgern sollte, einfach nur an die armen Schweine im Cerro Rico denken, für die wir, egal mit welchen Problemen konfrontiert, wohl immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen werden.


Kondor



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Copyright 1999-2002   Karsten Rau   Letzte Änderung:   2. Mai 2001