Die Silberstadt Potosi


Mineros am Eingang zur Mine 'Candelaria Baja' (links steht Juan, mein Guide)

Allgemeines

Potosi ist mit beinahe 4.100m die höchstgelegene Stadt der Welt. Sie wurde 1545 von den Spaniern gegründet, nachdem man dort am Sumaj Orcka auf riesige Silbervorkommen gestoßen war. Die Spanier nannten den 4.829m hohen Berg daraufhin Cerro Rico (reicher Berg). Dies war der Startschuß für einen in der Geschichte wohl beispiellosen Aufstieg einer Stadt verbunden mit der rigorosen Ausbeutung und Versklavung einer ganzen Region. Die Spanier begannen schon kurz nach der Entdeckung des Silbers mit dessen Abbau im großen Stile, um die leeren Staatskassen des spanischen Königreichs zu füllen.
Bereits zwei Jahre nach der Stadtgründung wurde Potosi zur "Villa Imperial" erhoben. Auf ihrem Höhepunkt Ende des 16. Jahrhunderts zählte Potosi über 160.000 Einwohner, was sie zur größten und reichsten Stadt des amerikanischen Doppelkontinents und zur drittgrößten weltweit machte. Potosi war die Schatzkammer Amerikas und über einen Zeitraum von 400 Jahren wurden über 20.000 Tonnen Silber gefördert.
Der "reiche Berg" der Spanier war gleichzeitig Schicksalsberg für Millionen Indígena. Sie wurden gezwungen unter unmenschlichen Bedingungen in den Minen zu schuften. Nicht nur die Höhenlage zehrte dabei an ihren Kräften: Unfälle, die Hitze und der Staub in den Stollen forderten Tausende Opfer. Doch auch wenn die Indios die Torturen im Bergwerk überleben sollten, früher oder später starben sie an Silicose oder einer Quecksilbervergiftung (Quecksiber wurde damals noch als Scheidemittel eingesetzt).
Man schätzt heute, daß bis zum 18. Jahrhundert an die 8 Millionen (!) Zwangsarbeiter am Cerro Rico ihr Leben ließen.
Nachdem die Silberadern allmählich ausgebeutet waren, begann der Absturz Potosis. Heute gehört die Region zu den ärmsten in Bolivien. Bergbau (vorallem Zink und Zinn) wird von einigen Kooperativen nachwievor betrieben, jedoch in weit geringerem Umfang. Geblieben sind einzig die unmenschlichen Arbeitsbedingungen...
Die historische Bedeutung Potosis erkannte auch die UNESCO, und so wurde im Jahre 1987 der Cerro Rico mit seinen Bergbauanlagen, die Altstadt und die Wohnviertel der Mineros zum Weltkulturerbe ernannt.

Unterkunft und Tour Operators

In der näheren Umgebung der schönen Altstadt von Potosi gibt es zahlreiche Hostals der unterschiedlichsten Preiskategorien. Da wir (Miri und Manu, Okchun und meine Wenigkeit) die letzten fünf Tage während der Salar de Uyuni- Tour zwar gut aber auch recht bescheiden genächtigt hatten, wollten wir uns mal wieder etwas gönnen. Wir entschieden uns für das zentral gelegene Hotel Colonial, Hoyos 8, tel. 24-809, fax. 27-146, einem zum Hotel umgebauten, schönen Kolonialhaus. Nach zähen Verhandlungen konnten wir den Preis für die Übernachtung noch etwas drücken, und so kostete mein Zimmer 30 US$. Das war zwar immer noch ´ne Menge Geld, aber im Nachhinein betrachtet, gut angelegt. Das Kolonialhaus hatte schöne, geräumige und saubere Zimmer mit Heizung und Aguas calientes, einen wunderschönen Innenhof mit Brunnen und freundliches, hilfsbereites Personal. So war es zum Beispiel kein Thema, als ich fragte, ob ich mich am Abreisetag nach der Minentour noch duschen könnte, obwohl wir eigentlich schon längst ausgecheckt hatten.

Cerro Rico
Blick auf den Cerro Rico, der nach 400 Jahren exzessiven Bergbaus durchlöchert sein muß wie ein Schweizer Käse.


Ich hatte mir für den nächsten Tag die Teilnahme an einer Minentour vorgenommen, auch wenn die Zeit wegen der Rückfahrt nach La Paz am späten Nachmittag knapp bemessen war. Meine drei Damen konnten sich nicht so recht dafür begeistern (Miri und Manu hatten bereits in Ecuador eine Mine besucht), und so wollten sie sich in der Zwischenzeit die Altstadt und den Markt ansehen.
Agenturen, die Minentouren anbieten, gibt es in Potosi viele. Man hatte mir jedoch bereits in Peru mehrmals Koala Tours, Oruro 136, tel.24-708 empfohlen, und so fiel mir die Entscheidung leicht. Die Tour kostete gerade einmal 15 US$ und schloß neben der Ausrüstung auch den Transport zur Mine mit ein. Nach der Anmeldung legte man mir noch eine Verzichtserklärung zum Unterschreiben vor, in der ich im Falle eines Unfalls in der Mine, von jeglichen Schadensersatzforderungen absehe. Da wurde mir das erste Mal so richtig klar, daß das wohl keine "Kaffeefahrt" werden wird!
Ich hatte anscheinend meinen Glückstag, denn es schien, als wäre ich heute der einzige Tourist, der sich bei Koala Tours anmeldete. Mein Guide Juan kam gegen 9:30 um mich abzuholen. Juan war selbst mehrere Jahre Minero, bevor er die Chance ergriff und Guide wurde. "Ich verdiene zwar bei weitem nicht soviel Geld wie damals als Minenarbeiter", erzählte er mir mit einem Lächeln auf den Lippen,"aber es ist halt ein Traumjob und man lebt um einiges länger!" Er hatte sich nebenbei Englisch beigebracht, was ihm natürlich eine große Hilfe bei der Bewerbung war. Juan, dessen Spitzname Uchu war (was soviel wie "würzig" bedeutet), war vielleicht Mitte 20, geschichtlich sehr bewandert und auskunftsfreudig. Ihm machte es sichtlich Spaß, meine vielen Fragen ausführlichst zu beantworten.
Von der Agentur aus fuhren wir mit dem öffentlichen Bus zum Ausrüstungsdepot. Dort deckten wir uns erst einmal mit Helm, Gummistiefel, -jacke, Atemschutz und einer Taschenlampe ein. Vorallem der Helm sollte sich in den nächsten Stunden noch mehrfach bewähren. ;-) Danach liefen wir ein paar Häuser weiter zu einem der zahlreichen, kleinen Geschäfte, die Ausrüstung und Arbeitsgerät an die Mineros verkaufen. Hier wollten wir einige kleine Geschenke besorgen. Dies wird von den Minenarbeitern gerne gesehen, da sie die Sachen sonst von ihrem schwer erarbeiteten Lohn bezahlen müssen. Die im Vergleich dazu um ein Vielfaches reicheren Touristen bezahlen es locker aus der Portokasse.
In dem winzigen Laden gab es so ziemlich alles, was ein Minero- Herz höher schlagen ließ: Neben Getränken, Zigaretten und Tütenweise Cocablätter lagen Handschuhe, Gummistiefel und Schaufeln. Dazwischen stapelten sich wie selbstverständlich offene Kisten mit Dynamit und Detonatoren. Der Anblick war schon irgendwie strange! Juan empfahl mir einige Getränke für die immer durstigen Mineros in den unteren Levels, ein paar Stangen Dynamit und einige Beutel Cocablätter zu kaufen. Naja, und dafür zahlte ich insgesamt gerade einmal 8 Mark...

Eingang zur Mine
Eingang in das Reich Tios
Oben steht der Dieselkompressor

Von dort fuhren wir mit dem Bus hoch zum Cerro Rico. Unterwegs fragte mich Juan, ob ich was besonderes erleben möchte, dieses dann aber auch ein klein wenig anstrengender und ein ganz klein wenig gefährlicher werden würde. Natürlich sagte ich ja *grins*, und Juan erzählte mir, er wolle mit mir in seine ehemalige Mine gehen, in der er 3 Jahre gearbeitet hatte. Dies sei jedoch keine "Touristenmine", und so sind die Stollen noch schmaler, die Übergänge noch anstrengender und die Luft noch schlechter als in den Minen, die für die Touristentouren etwas "präpariert" wurden. Mit einer mehrköpfigen, gemischten Gruppe ginge er da nicht hinein, da die Stollen zudem zu wenig Ausweichnischen besitzen, und für viele Frauen (disculpe chicas, aber O-Ton Juan! *g*) und ältere Touristen einfach zu anstrengend sind. Aber da ich heute ja sein einziger "Gast" bin, wolle er mir mal "seine" Mine zeigen. "Während in der normalerweise besuchte Mine San Miguel 25-30 Mineros auf drei Levels arbeiten", erzählte mir Juan nicht ohne Stolz, "sind es in seiner Candelaria Baja- Mine über 50 Arbeiter auf vier Etagen.



Nach einer halben Stunde standen wir am Eingang zur Mine. Ein großer Dieselkompressor pumpte Luft durch armdicke Schläuche in den Schacht. Sie diente jedoch nicht etwa zur Belüftung der stickigen Stollen, sondern einzig und allein der Versorgung der Presslufthämmer! Einige Mineros bereiteten sich gerade auf ihre 8 Stunden- Schicht vor, und stopften sich Cocablätter in ihre Backen, genauso wie es schon ihre Vorfahren vor 400 Jahren machten. Coca ist wohl die einzige Möglichkeit, die Strapazen in der Mine einigermaßen zu ertragen. Es hat eine hunger- und dursthemmende, sowie eine leistungserhaltende Wirkung. "Der Großteil der Mineros ist aufgrund des exzessiven Konsums vom Coca abhängig.", erzählte mir Juan, "Aber was sollen sie sonst tun? Ohne Cocablätter hält niemand die Schinderei in der Mine aus!"
Juan stellte mich den Arbeitern vor, und wir setzten uns kurz zu ihnen. Schon bald entwickelte sich eine rege Unterhaltung, in der ich mich bereits nach kurzer Zeit in der Rolle des Befragten wiederfand. Juan fungierte dabei als Dolmetscher, da ich von dem Quechua/Spanisch- Mischmasch der Mineros absolut nichts verstand. Und so unterhielten wir uns über die Arbeitsbedingungen in den Minen, meinen Job in Deutschland, die Durchschnittsgehälter in Europa (obwohl ich vorsorglich ein paar Tausender beim Durchschnittsgehalt wegließ, waren sie sichtlich schockiert), und noch vieles mehr. Irgendwann drifteten wir dann - wie sollte es auch anders sein *grins* - in Männergespräche ab. Dabei kamen interessante Neuigkeiten an den Tag:
So war es anscheinend Gang und Gebe, daß die Mineros, obwohl meistens verheiratet und Familienväter, regelmäßig einen Teil ihres Lohns in die bezahlte Liebe "investierten". Unweit der Minen am Cerro Rico hat sich aus diesem Grund ein gutbesuchtes 'Rotlichtmilieu' etabliert.
Auch in Bezug auf das allgemeine Schönheitsideal gingen die Meinungen weit auseinander. Während ich ihnen zum Beispiel von Bullock, Aniston, Klum, Lopez oder Imbruglia vorschwärmte, standen die Herren Mineros eher auf vollschlanke, fülligere Damen. "Die sind ja alle viel zu dünn!", meinte einer grinsend, "wir Mineros stehen da schon eher auf Handfestes!".
Nach einer kurzweiligen viertel Stunde verabschiedeten sich die Mineros und machten sich auf den Weg in den Stollen, um ihre Kumpels abzulösen.
Auch wir bereiteten uns vor, das Reich Tios zu erkunden...

Kondor


Auf der nächsten Seite kannst Du mich auf den schweißtreibenden Weg in das Innere des Cerro Rico begleiten.



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